„Wunderbare Wanderwelt – wanderbare Wunderwelt“
Naturwissenschaftliche Projektwoche der 6N Klasse in Sachsen (8. bis 13.5.2022)
Erfahrene Kolleg*innen wissen, dass es oft nicht leicht ist Schüler*innen für das Wandern zu begeistern. Diese schmerzliche Erfahrung musste auch ich dieses Mal im Vorfeld unserer Projektwoche machen.
Entsprechend schwierig war es einen Kompromiss bezüglich des Reiseziels zu finden – schließlich einigten wir uns nach langen Diskussionen auf den Nationalpark „Sächsische Schweiz“ im Südosten des Bundeslandes Sachsen in Deutschland. Für mich ist es die spannendste Wanderregion in ganz Mitteleuropa.
Trotz meiner euphorischen Erfahrungsberichte bemerkte ich bei einem Gutteil meiner Klasse eine gewisse Skepsis und eher ablehnende Haltung ob der zu erwartenden Anstrengungen beim Bergauf und Bergab in der bizarren Felsenwelt des Elbsandsteingebirges.
Am Anreisetag fuhren wir zunächst über Linz auf den Spuren der ehemaligen Pferdeeisenbahn nach Budweis in Tschechien und über Ústí nad Labem (Aussig) weiter nach Nordböhmen bis in das Lausitzer Gebirge, wo wir bei einer Wanderung am Goldberg (Zlatý vrch, 627 m) eine geologische Besonderheit von Weltrang studieren konnten. Dort sind nämlich in einem alten Basaltsteinbruch mehrere tausend perfekt ausgebildete Basaltsäulen zu bewundern. Sie gehören zu den schönsten überhaupt, deshalb ist der ganze Berg heute als Nationales Naturdenkmal ausgewiesen. Danach besuchten wir nach einem langen Fahrtag in Bad Schandau noch das Nationalparkzentrum. Dort lernten wir bei einer Führung die wichtigsten naturkundlichen Besonderheiten des international bedeutenden Schutzgebietes kennen. Unser Quartier war ein einfacher Gasthof im idyllisch gelegen Polenztal mitten im Nationalparkgebiet.
Von dort ging es am nächsten Tag auch gleich zu Fuß los in die Felsenwelt. Wir wanderten zunächst durch zahlreiche Schluchten zur Bastei. Die Bastei ist einer der markantesten Aussichtspunkte der Sächsischen Schweiz und zählt pro Jahr etwa 1,5 Millionen Besucher. Es gibt in den deutschen Nationalparks keinen anderen Punkt mit einer so hohen Besucherdichte. Von dort ging es durch den Uttewalder Grund weiter bis zur entzückenden Stadt Wehlen an der Elbe.
Überall im Elbsandsteingebirge der Sächsischen Schweiz trifft man auf schmale Steige und Durch- oder Übergänge (oft mit Drahtseilsicherungen), steile Leitern, Aussichtspunkte, lange Treppen, die das Gelände spannend und kurzweilig erschließen (in Sachsen auch „Stiegen“ genannt). Darauf wiesen auch schon am ersten Wandertag die klangvollen Geländenamen hin: Teufelsbrücke, Wolfschlucht, Höllgrund, Schwedenlöcher. Kein Wunder, dass diese einzigartigen landschaftlichen Schönheiten im 19. Jahrhundert vor allem von Malern der Romantik geradezu „gestürmt“ wurden und man in aller Welt darüber berichtete. So stützt sich das weltberühmte Gemälde von Caspar David Friedrich „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (1818) hauptsächlich auf Motive aus der Sächsischen Schweiz.
Insgesamt erkundeten wir drei Tage lang auf ausgedehnten Wanderungen die Kernzone des Nationalparks. Manchmal teilten wir die Gruppe – ein Teil wanderte „gemütlichere“ Pfade, der andere erklomm über steile An- und Abstiege beeindruckende Felsmassive und Grate wie z. B. den bekannten Schrammsteingrat – eine Panoramaroute der Superlative auf 450 Meter Seehöhe – anstrengend, kurzweilig, spannend, spektakulär, herausfordernd – einfach prachtvoll und schön. Und den Abstieg über die „Rotkehlchenstiege“ unter mächtigen Felswänden wird wohl niemand vergessen können. Da hatte man sich dann eine Erfrischung im Gasthaus zur „Mühle“ in Schmilka redlich verdient.
Einen Tag verbrachten wir auch im böhmischen Teil des grenzüberschreitenden Nationalparks. Dabei wanderten wir über das Prebischtor, dem größten natürlichen Felsentor Europas, weiter über das Felsenband des Gabrielensteigs bis zur Edmundsklamm am Fluss Kamnitz. Durch diese kehrten wir bei einer abenteuerlichen Kahnfahrt zurück nach Hřensko (Herrnskretschen). Die wilde Felsenlandschaft der Sächsischen Schweiz mit ihren Felsriffen und -zacken und den tiefen Schluchten ist das Ergebnis lang andauernder Erosionsprozesse. Ursprünglich wurden die Sande in einem tropischen Meer in der Kreide-Zeit vor 90 Millionen Jahren abgelagert.
Wir erkundeten auch die Lausitzer Seenplatte. Dort konnten wir bei einer mehrstündigen Abenteuerführung den Braunkohletagebau Welzow-Süd besichtigen. In dem für österreichische Verhältnisse unvorstellbar riesigen Bergwerk werden aus 2 Flözen bis zu 20 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr gefördert. Mit geländegängigen Fahrzeugen fuhren wir zu allen Großgeräten und konnten dabei die einzelnen Abbauschritte live bei ihrer Arbeit beobachten. Besonders eindrucksvoll war die Abraumförderbrücke F60, die zu den größten weltweit gehört. Insgesamt werden damit pro Jahr 130 Mio. m3 Abraum bewegt. Uns wurden auch die Rekultivierungsmaßnahmen vorgestellt. Nach der Verfüllung der offenen Gruben wird dort wieder Landwirtschaft betrieben und teilweise sogar Wein angebaut.
Zu einem Besuch in Sachsen gehört unbedingt auch eine Dampferfahrt mit einem Raddampfer der Sächsischen Dampfschifffahrtsgesellschaft. Der Raddampfer „Pirna“ (Baujahr 1889) brachte uns bei einer beschaulichen Fahrt und feinstem Frühsommerwetter vom Kurort Rathen vorbei an der Festung Königstein und in einem Elbmäander rund um das Wahrzeichen der Sächsischen Schweiz, den Lilienstein, bis nach Bad Schandau. Schließlich konnten wir im Rahmen der Projektwoche auch die Hauptsehenswürdigkeiten von Dresden besichtigen. Alle waren vom Zwinger, der Frauenkirche, der Semperoper und der Altstadt beeindruckt.
Die lange Heimfahrt am Freitag verkürzten wir gefühlsmäßig mit einem Stopover in Prag. Dort konnten wir im Touristentrubel noch einige interessante Stunden in der Prager Altstadt zwischen Karlsbrücke und Altstädter Ring verbringen.
Mein Dank gilt allen Schüler*innen für ihre Disziplin, ihr Durchhaltevermögen und korrektes Verhalten während der Projektwoche. Ich bin sehr stolz und dankbar, dass Ihr alle so an „einem Strang gezogen habt“. Kein einziges Mal hat jemand während der sehr langen und anstrengenden Wanderungen aufgegeben, „gemurrt“ oder sich zurückgezogen. Wie ich weiß, haben etliche von Euch die Liebe zum Wandern entdeckt. Damit habt Ihr mir ein großes Geschenk gemacht!
Darüber hinaus möchte ich mich auch herzlich bei meiner Kollegin Frau Mag. Ulrike Tusek für ihre professionelle, umsichtige Begleitung und Betreuung bedanken. Und schließlich auch bei unseren beiden Weltchauffeuren Manuela und Franz Jackel von der Firma sabtours. Bei Frau Schade und ihrem Team vom Gasthaus Polenztal bedanken wir uns für die tolle, idyllische Herberge und die ausgezeichnete Verpflegung – auch mit so manchem sächsischen „Schmankerl“ à la Soljanka oder Sauerbraten.
Bericht von MMag. Dr. Andreas Schermaier